Vom lauten Klimawandel und stillem Artentod
von Veronika Arz
Wissenschaftler gehen davon aus, dass wir allein innerhalb des letzten Vierteljahrhunderts vermutlich bereits 1/5 aller Arten von Lebewesen ausgerottet haben. Bis Mitte des Jahrhunderts könnte die Hälfte und bis zum Ende des Jahrhunderts sogar bis zu 2/3 aller Arten von Leben verschwunden sein. Der Artenwandel ist weniger spürbar als der Klimawandel, aber er ist deshalb keineswegs weniger dramatisch. Ganz im Gegenteil. Der Verlust von Arten ist irreversibel. Wenn eine Art einmal ausgestorben ist, bleibt sie verschwunden; es wird sie nie wieder geben.
Nehmen wir unsere heimische Fischfauna: 12% der ursprünglichen heimischen Fischarten sind bereits ausgestorben (LfU 2021).
Durch das Fehlen von Arten werden bestehende Ökosysteme grundlegend gestört und Nahrungsnetze zerrissen. Der UN-Weltbiodiversitätsrat warnt deshalb:
Mit der Gesundheit der Lebensräume und ihrer Artengemeinschaften ist letztlich auch die Existenz des Menschen bedroht.
Wir müssen uns endlich bewusst machen, dass die Vielfalt der Arten das Funktionieren der Ökosysteme sichert. Sie liefert uns überlebenswichtige Dinge, wie Nahrung und Wasser, und spielt eine wichtige Rolle im Klimageschehen.
Ohne die Arten und ihre Vielfalt funktionieren die Ökosysteme auf unserer Erde nicht!
Was ist eigentlich Biodiversität?
Der Begriff entstand 1986 – vor gerade einmal knapp vier Jahrzehnten – anlässlich einer wissenschaftlichen Konferenz in Washington, D.C.. Er bezeichnet die Vielfalt der Arten in der Natur. Konkret verstehen wir unter Biodiversität die natürliche Vielfalt auf drei verschiedenen Organisationsniveaus:
- Vielfalt der Gene,
- Vielfalt der Arten,
- Vielfalt der Ökosysteme.
Jeder, der hauptberuflich und ehrenamtlich mit der Fischerei zu tun hat, hat Beispiele parat.
Die Lebensraumvielfalt unserer Gewässer mit ihrer Strukturvielfalt zu bewahren und für die nächsten Generationen zu sichern, ist uns eine Herzensangelegenheit. Viele Projekte und Umsetzungsmaßnahmen, z.B. im Rahmen des LFV- Projektes Lebensraumverbessernde Maßnahmen sprechen dafür. Auch das aktuelle FVN-Artenhilfsprogramm für bedrohte Fischarten, wie Nase oder Huchen kommt uns sofort in den Sinn. Aber was treibt den Artenschwund an?
Die Treiber des Artentodes
Der Lebensraumverlust, durch intensive Landwirtschaft, Flächenversiegelung oder Unterbrechung der Gewässerdurchgängigkeit ist unbestritten der Artenkiller Nr. 1. In Bayern gibt es an Flüssen und Bächen 58.000 Querbauwerke (in Niederbayern 8.555). Nur 10% sind frei durchgängig (in Niederbayern 14%).
Als zweitwichtigsten Treiber nennt die Wissenschaft die Übernutzung der Tier- und Pflanzenbestände. Beispielhaft sei hier die Übernutzung der Fischbestände in den Meeren genannt. Hautnah erleben wir dies am dramatischen Rückgang der Dorschbestände.
Als dritter Treiber trägt der Klimawandel zum Artenschwund mindestens aber zu einer Verschiebung der Artenzusammensetzung in einem Lebensraum bei. Versiegen in langen Trockenperioden unsere kleinen Bäche, die Gewässer III. Ordnung, verschwindet der Lebensraum für unsere Gewässerorganismen. Verlieren wir langfristig unsere sommerkühlen Bäche der Äschen- und Forellenregion, weil sie sich zu sehr aufheizen, verlieren wir die Bachforelle und anspruchslosere Arten nehmen ihren Platz ein. Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf unsere Gewässersysteme sind belegt. Für Bayern konnte eine Zunahme der Gewässertemperatur um 0,6°C von 1991 bis 2010 im Vergleich zu 1971 bis 2000 verzeichnet werden (LfU 2024). Allein die Gewässererwärmung und ihre künftige Entwicklung ist Anlass zur Sorge, z. B. wenn es um die Huchenbestände geht.
Der Klimawandel ist spürbar.
Ein vierter Faktor für den Artenschwund ist die Umweltverschmutzung. Denken wir nur an die Pestizide und Kunstdünger, die bis an den Gewässerrand ausgebracht werden oder die Plastikabfälle und Schwermetalle. Immerhin sind Uferschutzstreifen an unseren Gewässern verpflichtend geworden.
Als fünfter Faktor wird das Vordringen invasiver Arten genannt. Inwieweit die Invasion der Schwarzmeergrundeln, des Sonnenbarsches oder des asiatischen Schlammpeitzgers unsere heimische Artenvielfalt in den Gewässern bedroht oder zu einem direkten Artenrückgang führt, ist abschließend noch nicht geklärt. Die Krebspest, ein todbringender Fadenpilz, der in den in unsere Gewässer eingeschleppten Amerikanischen Krebsen schlummert, ist dabei, unseren Edelkrebs auszurotten. Ein asiatischer Hautpilz bedroht aktuell auch in Bayern unseren heimischen Feuersalamander (uns Älteren bekannt als Lurchi, der alle Probleme lösen konnte- jetzt hat er selbst welche).
Artenschwund ist der neue Klimawandel
Evolutionsforscher weltweit warnen eindringlich davor, die Auswirkungen des Artenverlustes zu unterschätzen. Diese sind von enormer ökologischer Brisanz und erheblicher gesellschaftlicher Sprengkraft. Das Artensterben, so deren These, ist der neue Klimawandel. Der Verlust der Biodiversität kann die wahre Krise des 21. Jahrhunderts werden. So wichtig der Klimaschutz ist: Den Artenschutz dürfen wir nicht vernachlässigen!
Der Verlust der Biodiversität ist im Gegensatz zum Klimawandel lautlos, in seinen Auswirkungen eher regional oder lokal begrenzt sichtbar. Deshalb ist er politisch kaum relevant. Beleg dafür ist die verebbte Diskussion um die Aktion Rettet die Bienen, die eigentlich auf die Rettung der Insekten abzielte, also auch auf die Larven der Stein- oder Köcherfliegen. Das muss sich aus Sicht der organisierten Fischerei schnellstmöglich ändern. Wir müssen uns klar darüber werden, dass wir uns mittlerweile im sechsten Massensterben auf unserer Erde befinden.
Fazit
Liebe Mitglieder, aber besonders liebe Jungfischerinnen und Jungfischer!
Dieser Bericht ist kein Weckruf. Der Begriff ist durch die Politik abgegriffen, um nicht zu sagen ausgelutscht und zur inhaltslosen Phrase degradiert. Er ist ein Denkanstoß. Machen wir uns auf allen Ebenen der organisierten Fischerei gemeinsam Gedanken, wie wir die uns anvertrauten Lebensräume für die Vielfalt der Gewässerorganismen über viele Generationen sichern und entwickeln können, um die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Gewässer abzufedern, wie wir Artenhilfsprogramme aus der Fischerei weiterhin sinnvoll einsetzen oder sinnlose kleine Wasserkraft verhindern können.
Klimawandel und Biodiversität müssen miteinander und nicht nebeneinander diskutiert und bewertet werden. Wir Fischerinnen und Fischer dürfen nicht nachlassen in den Bemühungen, unsere Gewässer klimaresilient zu machen, deren Strukturvielfalt zu erhöhen und zu sichern. Nur so können wir auch die Artenvielfalt an Wirbellosen, Muscheln, Krebsen und nicht zuletzt den Fischen bewahren.
Jörg Kuhn
Geschäftsführer des FVN (von 02/1990 bis 07/2025)
veröffentlicht im Jahresbericht des LFV Bayern 2024/2025, Seite 51/52
Quelle: Matthias Glaubrecht; Das Ende der Evolution, C. Bertelsmann Verlag 2019; Katharina Amann; Vortrag JHV des FVN in Viechtach 2025
Kein Wasser im Mödinger Bach, Lkr. Dingolfing-Landau, kein Lebensraum für Gewässerorganismen. Foto: Kuhn
Nicht nur die Schwarzmundgrundel hat sich im Allachbach in Straubing etabliert. Auch Sonnenbarsch, Blaubandbärbling und Asiatischer Schlammpeitzger bedrohen dort heimische Kleinfischarten. Foto: Kuhn